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Brief 188- in Eritrea

Hallo,

na, das war wieder typisch meine Sandra. Da haut sie ab, lässt mich einfach für eine Woche zurück…

o.k., mir ging es nicht schlecht, ich habe mir einen Chilligen bei ihren Eltern gemacht. Aber, sie war wegen so einer voll tollen, spannenden Sache unterwegs. Da wäre ich schon gerne mit meinen vier Pfoten live dabei gewesen. Jetzt kann ich euch nur erzählen, was sie mir erzählt hat. Keine Sorge, ich werde es originalgetreu mit meinen Worten wiedergeben, nix stille Post.

Ach so, vielleicht sollte ich zu Anfang sagen, mit wem sie wo war!!! Sandra war wieder mit Archemed in Eritrea.

Erinnert ihr euch, die Organisation habe ich schon einmal vorgestellt. Daher jetzt nur kurz etwas dazu… Archemed hat den Hauptsitz an der Möhne und ist ein Verein, der in Eritrea verschiedene Projekte aufbaut und unterstützt. Mehr dazu findet ihr auf der Internetseite von Archemed oder auf der Seite vom Fotografen Kai Gebel, two-little-designers. Es lohnt wirklich, sich die Seiten anzuschauen. An dieser Stelle auch ganz, ganz lieben Dank an Kai, der uns viele seiner beeindruckenden Bilder für diesen Bericht zur Verfügung gestellt hat.

Zurück zu Tag X, an dem sich Sandra voll beladen auf den Weg zum Airport gemacht hat. Ich persönlich hatte Befürchtungen, dass sie gar nicht heile dort ankommt mit dem ganzen Gepäck. Wie ein Packesel hat sie ausgesehen. Ich möchte auch gar nicht wissen, was sie vom Stapel gelassen hätte, falls sie ihren Reisetrolly hätte öffnen müssen. Mal Hand aufs Herz, wie erklärt man glaubwürdig, warum man 10kg Gummibärchen, Kaubonbons, einen Haufen Medikamente, Kinderkleidung, Stofftiere, Buntstifte, 200 Luftballons und nur eine Hose, 2 T-Shirts und 5 Schlüppis im Gepäck hat…bei insgesamt 30 kg. Glücklicherweise, hat keiner beim Sicherheitscheck nachgefragt!!! Über die 4 Therapiepuppen, die sie auch noch reingequetscht hat, möchte ich gar nicht erst reden. Danke an Monika, dass sie sie so flexibel in stundenlanger Arbeit genäht hat. Sonst hätten sie nicht mehr hinein gepasst.

Mit dem ganzen Zeug ist sie dann los. Aber sie war nicht die einzige. Vor Ort waren auch die Kinderkrankenschwestern, Kathy und Maren inklusive Kinderkardiologe Dr. Hobby. Nein, das ist kein Hobbydoktor. Hobby ist sein Spitzname und er ist ein echter Arzt. Das Neoteam, Monika, Beate und Frau Dr. Tanja waren auch mit von der Partie. Nicht zu vergessen, Sandras Physiokollegin Renate. Sie war mit einigen anderen aber vorwiegend wegen der Fortführung des Anti-Beschneidungs-Projektes vor Ort. Ah, und die Handwerker und Sauerstoff-Jungs möchte ich auch nicht vergessen. Sie kümmern sich darum, dass Reparaturen stattfinden, die Kinderintensiv (PICU) Beatmungsplätze bekommt und die Container mit Material und Spendengütern ausgeräumt werden.

Ihr seht schon, es benötigt viele, viele fleißige und engagierte Menschen, die bereit sind Zeit für Eritrea zu investieren. Und ich muss sagen, es läuft… zwar nicht immer rund, man muss halt die afrikanische Mentalität berücksichtigen. Das ist manchmal zum Mäusemelken, zumindest, wenn man aus Deutschland oder der Schweiz kommt und eine andere Gangart gewöhnt ist 😉

Alles in allem gibt es jedoch Fortschritte. Die Kinderintensiv ist von Besuch zu Besuch sauberer, aufgeräumter und die Mitarbeiter kümmern sich fachlich besser um die Kids. Die Arbeit dort ist noch lange nicht beendet, es gibt bei jedem Aufenthalt etwas, was noch verbessert werden kann. Daran arbeiten Kathy, Maren und Dr. Hobby. Die einheimischen Mitarbeiter werden vor Ort geschult und können mit der Teilnahme an den Teachings Punkte in ihrem Fortbildungsheft sammeln. So sieht man, wer sich weiter entwickelt. Diese Mal stand eine Lektion in korrekter  Händedesinfektion an. Kontrolliert wurde das mit einem High-Tech-Prüfgerät. Sah etwas aus, wie ein Hamsterhaus mit Schummerlicht für gemütliche Hamsterstündchen. Großer Pappkarton und Taschenlampe. Hat aber funktioniert!!! Improvisation ist das halbe Leben…

Sandra hat Teachings zum Thema Atemtherapie und Lagerung nach Ops durchgeführt und in der Physioabteilung mit Renate zusammen Kinder befundet, um mit den Müttern ein zusätzliches Übungsprogramm 4 Tage lang zu trainieren. Sie waren perplex, wie zuverlässig die Mütter zur Therapie gekommen sind und wie gut sie am Ende der Woche mit ihren Kindern geturnt haben. Weil die Arbeit so erfolgreich war und viel Spaß gemacht hat, haben sich Sandra und Renate mit einem lachenden und weinenden Auge von den Familien getrennt. Im März werden dann die nächsten Physios aus Deutschland kommen und mit den Familien weiter trainieren. Bis dahin kümmern sich die einheimischen Physios um die Kids und die Mütter führen das erlernte Programm selbständig durch.

Das Neoteam hat auch alles gegeben. Sie gucken immer auf der Station nach Defiziten in der Hygiene, Infektvermeidung und Förderung der Minibabies. Sie schulen die Mitarbeiter und schauen, dass die Minis bestmögliche Chancen für ein Leben und Überleben in Eritrea haben. Da stößt man aber immer wieder auf Grenzen, die in Deutschland undenkbar wären. So gehen die Eltern mit dem Tod eines Kindes ganz anders um. Da gilt es das zu akzeptieren und nicht zu werten, nur weil es in Deutschland anders gehandhabt wird. Ich glaube, dass ist für Sandra immer sehr schwierig. Sie hat mir erzählt, dass ein Baby auf der Neo alleine im Bettchen gestorben ist. Der Vater war nach der Geburt kurz da und hat gesagt bekommen, dass das Mädchen es nicht schaffen wird. Er hat es  liebevoll angesehen, 3 Fotos von der kleinen Maus gemacht, sich beim Team bedankt und ist gegangen. Sandra fand es ganz gruselig, dass das Baby im Bettchen liegt und alleine stirbt. Aber der Vater muss sich um die lebenden Kids und seine Frau kümmern. In diesen Situationen werden Prioritäten anders gesetzt. Und wir sollten uns da auch weder einmischen, noch diese Einstellung verändern wollen. Da der Tod eines Kindes in Eritrea nicht selten ist, gehört das zum Leben in einer Familie dazu. Die Eltern sind  häufig nach der Geburt erst einmal abwartend distanziert. Sie trauern schon um die verstorbenen Kinder, aber die Freude über jedes, das überlebt überwiegt. Wenn ihr Kind es schafft, richten sie ihr Leben auf die Kinder ein und kümmern sich sehr liebevoll um ihren Nachwuchs. So lange die Familie gesund ist und genug zum Essen und Trinken hat und leben sie meist zufrieden. Zufriedenheit und gemeinsames Familienleben, gehen im europäischen Alltag oft verloren bei dem ganzen Leistungsdruck. In Eritrea steht das finanzielle Überleben, politisch nicht verfolgt zu werden, gesund zu bleiben und genug für die Ernährung der Familie zu haben im Vordergrund.

Ein Teil des Archemed- Teams hat dem Mädchenkinderheim noch einen Besuch abgestattet. Dieses Heim wird von katholischen Nonnen geleitet und den Kids geht es dort wirklich, wirklich gut. Kleiderspenden, Schulmaterialien und Süßigkeiten wurden mit riesiger Freude in Empfang genommen. Aber auch die Besucher aus Deutschland wurden liebevoll umarmt und zum gemeinsamen Spielen animiert. Da wäre ich super gerne vor Ort gewesen. Ich hätte die Mädels mit ein paar lustigen Tricks beeindrucken können und bestimmt so einige Streicheleinheiten kassiert. Mehr als, hier auf jeden Fall!!!

Sandras großes Patenkind Hannah war da schon ein bisschen näher dran, als ich… Sie hatte von Deutschland aus den Mädchen einen Brief geschrieben und die Patenschaft für die ganze Gruppe übernommen und mit Gummibärchen besiegelt. Coole Sache, finde ich!!!

Dann stand noch ein Besuch im Village an. Dort lebt ein ca. 4 jähriger Junge, der als Baby vom Herz Team erfolgreich operiert worden ist. Es war damals die erste TGA-Op in dem Land. Ich glaube sogar in ganz Nordafrika, da bin ich mir aber nicht ganz sicher… TGA  bedeutet, das alles am Herz verdreht bzw. falsch herum ist. TGA- Op bedeutet, Op am offenen Herz alles ab und richtig herum wieder dran. Also quasi einmal um stöpseln. Heute geht es ihm gut und er lebt quietschvergnügt mit seinen Eltern und drei Schwestern im Dorf. Die Schwestern besuchen bereits die Schule und der Unterricht scheint gar nicht so übel zu sein. Das zeigen zumindest die Aufzeichnungen aus dem Geographieunterricht.

Es gäbe noch viel, viel mehr zu berichten. Ich möchte euch aber hier nicht überfrachten. Fazit ist, es gibt viele engagierte, fähige Krankenschwestern, Ärzte, Handwerker, Pädagogen, Ingenieure, Physios und, und, und…

Es gibt unterschiedliche Projekte. Mehr Infos dazu findet ihr auf Archemeds Internetseite. Und dank Kai Gebel, untermalt mit beeindruckendem Bildmaterial.

Und es gibt Spender; Dank ihrer Hilfe ist die Projektarbeit vor Ort möglich. Daher an alle, die Medikamente, Geld, Kleidung, Spielzeug und Schulmaterialien gespendet haben, ein riesiges Dankeschön!!! Danke auch an die Häkeldamen aus Bockum für ihren unermüdlichen Einsatz  (Mützchen Söckchen, Schildkröten). Ohne euch alle könnten die Teams vor Ort nicht so viel erreichen.

Sandras persönliches Fazit zu ihrem Aufenthalt: „ Ich werde dort wieder hinfahren. Und fragt mich nicht immer, wie ich das ertragen kann. Ich ertrage dort nichts. Ich muss umdenken und so manches Mal schlucken, das stimmt. Aber oft auch vor Rührung und Freude. Ich bekomme da so viel zurück, mehr als ich geben kann.“ Ach, dafür lasse ich Sandra doch gerne weg… Sie hat immer richtig gute Laune, wenn sie aus Eritrea zurück kommt und regt sich nicht über Kinkerlitzchen auf. Ich glaube ihr wird dann immer wieder deutlich, wie gut es uns geht. Und, dass es viel Schlimmeres gibt, als ein Toni, der sich ausgiebig im Kuhfladen wälzt.

Falls jemand gerne Spenden möchte. Im Moment wird Kleidung nicht unbedingt benötigt, da die Lagerkapazitäten vor Ort  zu knapp dafür sind. Die Stellen, an die Kleidung gegeben wird, sind zurzeit auch gut versorgt. Das kann sich aber jederzeit wieder ändern. Daher am besten in der Geschäftsstelle an der Möhne vorher nachfragen, ob Kleiderspenden gebraucht werden.

Geldspenden, die gezielt eingesetzt werden können, sind immer gut. Und Medikamente, die nicht angefangen und mindestens noch 6-8 Monate MHD aufweisen sind auch sehr, sehr wichtige Spenden.

Danke, dass ihr euch die Zeit genommen habt, diesen langen Brief zu lesen.

Bis bald

Toni